Kleiner Radurlaub mit Lastenrad und Tandem

Kleiner Radurlaub mit Lastenrad und Tandem

Ich hatte schon viele schöne Urlaube in meinem Leben, im Ferienhaus, im Wohnmobil, mit dem Fahrrad. Der schönste war die Reise mit dem Tandem durch Schweden 2012, darüber werde ich demnächst schreiben. Kurz gesagt ist es eine ganz eigene Art des Reisens, wenn man mit eigener Muskelkraft Wege bewältigt und direkt an der Landschaft dran ist, nicht getrennt durch Scheiben. Wir konnten nach Lust und Laune unsere Strecke wählen und haben in vier Wochen Schweden erfahren.

Auch wenn eine Reise im Wohnmobil sehr schön und auch unabhängig ist oder Urlaub im Ferienhaus entspannend, wollen wir über kurz oder lang mit den Kindern längere Fahrradtouren unternehmen. Für dieses Frühjahr hatten wir uns vorgenommen, eine Probefahrt zu machen. Der Mann hat sich für Ende April, Anfang Mai Urlaub genommen, wir haben das Lastenrad und unser Stufentandem Pino vorbereitet (das Pino hat jetzt Kinderpedale, sodass ein Kind als Stoker fahren kann) und wir mussten uns für eine Strecke entscheiden. Nicht zu bergig, und vor allem: der Startpunkt musste mit der Bahn erreichbar sein. In die engere Auswahl kamen der hessische Bahnradweg, der Lahntalradweg und das Rheintal.

Wir wählten den Lahntalradweg. Um möglichst unabhängig zu sein, liehen wir uns ein zweites Zweimannzelt und besorgten Schlafsäcke für die Kinder, damit wir unterwegs auf Campingplätzen schlafen konnten. Wir planten, zwischen 30 und 50 km am Tag zu fahren, damit der Akku des Lastenrads reicht und die Kinder genügend Auslauf bekommen. Für die nach Plan am Ende gut 300 km sollten wir so eine gute Woche brauchen.

Die Packerei war interessant. Der Wetterbericht war relativ optimistisch, versprach aber warme und kalte Tage und zwischendurch etwas Regen. Zu den Klamotten kamen noch Unterhaltung, Schlafutensilien, Verpflegung und Geschirr. Als alles zurecht gelegt war, hatte ich wirklich Bedenken, ob es in die Taschen passte… Es klappte.

Sooo viel Kram.
Alles drin!

An Tag 1 starteten wir von zu Hause aus in Richtung Frankfurt Hauptbahnhof. Wir wollten nach Marburg, dorthin fährt von Darmstadt aus eine Regionalbahn. Leider wissen wir aus Erfahrung, wie schwer es mit dem Pino ist, die Aufzüge an den meisten Bahnhöfen zu benutzen. Wir müssen dazu alles Gepäck abladen und das Rad auf dem Hinterrad hochkant gestellt in den Aufzug schieben. Mit dem Lastenrad ist das nicht möglich. Auch im Zweifelsfall Gepäck und Räder gestaffelt die Treppen hoch und runter zu tragen ist besonders mit Kindern im Schlepptau utopisch. Also mussten wir im Vorhinein überlegen, an welchem Bahnhof wir ebenerdig ans Gleis rankommen und hoffen, dass wir unter der Woche außerhalb der Stoßzeiten mit beiden zugegebenermaßen großen, sperrigen Rädern Platz im Fahrradabteil finden.

Der nächste sinnvolle Bahnhof ist von uns aus der Hauptbahnhof in Frankfurt. Der Weg dorthin beträgt laut Google Maps knapp 30 km, mit einer Fahrtzeit von eineinhalb Stunden. Da wir es länger schon vorhatten planten wir einen Stopp nach gut der Hälfte am Frankfurter Flughafen ein, um mit den Kindern den Flugzeugen zuzusehen. Natürlich fuhren wir ein bisschen weiter als geplant und waren auch langsamer, sodass wir trotz eines großzügigen Zeitpuffers den Besuch am Flughafen kurz halten mussten, um rechtzeitig am Zug sein zu können. Es war trotzdem ein schöner Weg, zumindest die erste Hälfte führte hauptsächlich durch den Wald und fühlte sich schon richtig nach Urlaub an. Einmal kamen wir an einer Bahnschranke vorbei, an der wir erst nach einer Weile merkten dass man jemanden anrufen musste, damit die Schranke für den Fuß- und Radverkehr aufging. Auf der anderen Seite angekommensollte man Laut geben, wenn alle Personen es über die Gleise geschafft haben. Wir rätselten noch darüber, ob wir laut „Wir sind drüben!“ rufen sollten, als auch schon die Schranke runter ging.

Nach dem Flughafen mussten wir uns durch Baustellen und Umleitungen rund um den Flughafen kämpfen und hatten dann auch ein bisschen Stadtverkehr in Frankfurt. Mit dem Zeitdruck im Nacken war es etwas stressig, auch weil die Ausschilderung des Radwegs stellenweise nicht eindeutig war. Was uns begleitete waren die zahlreichen Barrieren auf dem ausgewiesenen Radweg, die wir zum Teil kaum mit dem Lastenrad passieren konnten.

Barriere auf dem Radweg. Zum Glück konnten wir daran vorbei schieben, auch wenn es eng war.

Wir kamen rechtzeitig am Hauptbahnhof an und hatten einige Mühe, die Räder in die Bahn zu verfrachten. Es war genug Platz im Fahrradabteil, sodass wir niemanden störten. Leider waren die Fahrradplätze durch eine in den Raum ragende Wand vom Eingangsbereich abgetrennt, weshalb wir Probleme hatten, das Lastenrad daran vorbei zu bugsieren. Besser gesagt, es war unmöglich. Glücklicherweise war ein paar Meter weiter ein weiteres Abteil, bei dem diese Trennwände weniger breit waren. Hier konnten wir das Lastenrad reinschieben. Leider hatten wir die Räder damit auf zwei verschiedene Stellen verteilt, getrennt durch die Toilette, deren Tür auch nicht geschlossen blieb.

Das Pino hat viel Platz. Bei genauem Hinsehen ist die Kinderkurbel mit -pedalen zu erkennen.

Wir hatten vorher mithilfe von Google Maps und Open Street Map nach einem Bahnhof gesucht, auf dem wir ebenerdig aussteigen konnten und sind in Marburg Süd fündig geworden. Letzten Endes lag der Bahnhof auch angenehm nah am Campingplatz direkt an der Lahn. Wir mussten die Gleise auf einer Brücke überqueren, die glücklicherweise über Fahrradrampen verfügte. Leider waren die Radspuren so schmal, dass ich mit dem Lastenrad schieben musste. Puh. Dafür war der Weg bergab super, die Spur hatte nämlich leichte Erhebungen, ähnlich wie minimale Stufen, aber schön geschwungen, die perfekt zu unseren Rädern passten, sodass es wie eine Wellenbahn war.Vorder- und Hinterrad fuhren gleichzeitig bergauf oder bergab, wupp wupp wupp ging es vorwärts. Allein dafür hätte ich nochmal hoch geschoben.

In Marburg bauten wir das Zelt auf und fuhren danach in die Stadt, um mit den Kindern die Aufzüge und die Oberstadt anzusehen. Ich habe einmal mehr den Unterschied in der Wahrnehmung als Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer gemerkt. Ich habe ein Jahr in Marburg gewohnt und war immer zu Fuß unterwegs. Leider scheinen die Wege mit dem Rad alle anders zu sein. Was mich positiv überrascht hat waren die Radspuren. Für Radfahrer war viel Platz vorgesehen und teilweise auch schön vom Autoverkehr getrennt.

An Tag zwei wusste ich wieder, warum ich zelten so furchtbar finde. Trotz meiner Müdigkeit war es ein schöner Tag. Es war Tag der Arbeit, und überall liefen Gruppen mit Musik oder fuhren Radlergruppen durch die Gegend. Die Strecke zwischen Marburg und Gießen ist flach, und ich war begeistert von den vielen Wiesen und den Feldern ohne Plastik darauf. Zu Hause haben wir Spargel und Erdbeeren vor der Tür, beide unter Lagen von Plastik versteckt.

Viele der Maiwandergruppen hatten Musik dabei, und wir schlossen uns an und spielten über unsere beiden Bluetoothlautsprecher Kinderlieder. Als ob unsere Räder nicht schon genug auffallen würden… Aber wir haben für einige lachende Gesichter gesorgt und es war ein schönes Gefühl, dass so viele andere Leute draußen unterwegs waren.

In Gießen machten wir einen Abstecher zum ärztlichen Bereitschaftsdienst in die Klinik und danach trennten sich kurzzeitig unsere Wege: der Mann fuhr zur Apotheke, die ein paar Kilometer hinter uns lag, die Kinder und ich fuhren an die Lahn und dort Tretboot (uff, als ob ich nicht schon genug Kilometer in den Beinen gehabt hätte), danach gab es sehr leckeren Döner und eine Nacht in der Jugendherberge.

Barriere auf dem ausgewiesenen Fernradweg, selbst für normale Räder schwer zu passieren. Wir mussten wenden.

An Tag 3 ging es sehr viel ausgeruhter weiter, die Landschaft veränderte sich und war nicht mehr so weitläufig, sondern bewaldeter und mehr und mehr hügelig. Wir machten einen Abstecher zum Besucherbergwerk Grube Fortuna, die oben auf dem Berg liegt. Ich musste die Unterstützung meines Motors voll aufdrehen und es war immer noch schwer zu treten. Oben angekommen durfte ich den Akku bei der Kasse des Bergwerks aufladen, damit wir ohne Reichweitenprobleme am nächsten Ziel ankommen konnten.

Nach 40 km suchten wir langsam nach einer Schlafgelegenheit für die Nacht. Ursprünglich wollten wir zur Jugendherberge in Weilburg, die aber leider geschlossen hatte. Wir konnten uns dann zwischen einem gemieteten Tipi in der Nähe oder einem Fass auf einem Campingplatz bei Weilburg wählen und entschieden uns für das Fass. Es lagen also noch 20 weitere Kilometer vor uns.

Nicht nur an diesem, sondern auch an den anderen Tagen kamen wir immer wieder an Stellen, die mit einem normalen Fahrrad schon nicht angenehm, mit dem Lastenrad unmöglich zu fahren waren. Enge Kurven, besonders bei der Auffahrt auf Brücken oder Kurven mit starken Steigungen. Das Packster ist ein Rad für gerade Strecken…

Um diese Kurve kam ich noch schiebenderweise, ohne zu rangieren.

Manche der Auffahrten waren so eng, dass ich rangieren musste, um überhaupt um die Kurve schieben zu können. Eine Kurve war gerade breit genug für mein quer stehendes Rad, ich kam mir kurz vor wie bei Austin Powers. Ein wenig war ich neidisch auf den Mann, der auf dem Pino nicht mal absteigen musste.

Um auf den Campingplatz zu kommen, mussten wir bei Weilburg über den Berg. Es wurde so steil, dass ich absteigen und schieben musste, was ohne Schiebehilfe kaum gegangen wäre. Selbst mit Schiebehilfe war es schwer, zumal einmal mehr klar wurde, dass das Packster nicht für kleine Leute gemacht ist. Ich musste meine Hand ziemlich verrenken, um die Finger am Knopf halten zu können. Der Mann musste auch schieben, ihm war die Kette rausgesprungen. Der Sohn lief nebenher.

Oben angekommen mussten wir feststellen, dass die hintere Bremse am Lastenrad quasi nicht mehr vorhanden war. ich musste das lange Straßenstück runter zum Campingplatz mit der vorderen Bremse bremsen, was ein sehr merkwürdiges Gefühl war. Der Mann telefonierte mit dem nächsten Fahrradladen und versuchte, auf dem Talweg dort neue Bremsbelege zu besorgen, wurde aber durch eine Baustelle daran gehindert. Einer der Nachteile an Radreisen ist, dass jeder Umweg zusätzliche Kilometer kostet. Um Bremsbelege zu bekommen, musste der Mann 7 km auf sich nehmen, mit einem Berg in der Mitte. Mit dem Auto kein Problem.

Tag 4 fing damit an, dass der Mann sowohl Bremsbelege als auch Brötchen holen fuhr, während ich die Taschen packte und die Kinder auf den Spielplatz dirigierte. Wir beschlossen aus verschiedenen Gründen, wobei das drohende Regenwetter eine große Rolle spielte, unseren trotz aller Hindernisse recht gut gelaufenen Versuch einer Radreise mit Kindern abzubrechen und bei der nächsten Gelegenheit in einen Zug nach Hause einzusteigen.

Bremsbeläge tauschen

Es gab die gleiche Vorbereitung wie schon auf dem Hinweg: wo kommen wir problemlos in den Zug, wo wieder heraus? Wir fanden einen Bahnhof kurz vor Limburg, an dem wir sogar über Rampen auf den Bahnsteig kamen. Zusammen mit einem Rollstuhlfahrer suchten wir das Fahrradabteil, nur um festzustellen, dass es wieder durch eine Zwischenwand blockiert wurde. Die Zugbegleiterin entmutigte und erst und meinte, auf dieser Strecke würden nur Züge gleicher Bauweise fahren, holte uns aber ein paar Sekunden später zurück zum Zug, wir sollten die andere Seite des Abteils probieren. Und tatsächlich – sogar das Lastenrad passte hinein.

Der Zug hatte wegen uns bestimmt ein paar Minuten Verspätung, was uns leid tat, gleichzeitig waren wir froh mitfahren zu können. Wir konnten bis Frankfurt durchfahren und während der Fahrt sogar unseren Akku laden. Von Frankfurt aus fuhren wir mit dem Rad weiter. Wir mussten nicht mehr an der Baustelle am Flughafen vorbei, mussten trotzdem einige Male neu nach dem Weg suchen. Einmal standen wir vor einem mit Stacheldraht bestückten Bauzaun an der Autobahn, der uns auf dem Hinweg schon aufgehalten hatte.

Dass wir sehr nah an Zu Hause waren, merkten wir an der zunehmenden Plastikverpackung der Äcker. Daheim angekommen waren wir froh, aber auch davon überzeugt, dass eine Fahrradreise auch über längere Zeit mit Kindern funktioniert. Wir werden wieder fahren.

Der Lahntalradweg ist gut. Gerüchteweise wird er nach Limburg sogar noch schöner, wobei wir auch schöne Ecken gesehen haben. Er ist zwischen Marburg und Limburg fast durchgehend gut ausgeschildert und an den meisten Stellen gut zu befahren.

Das Pino ist ein gutes Reiserad, wie wir ja schon in Schweden feststellen konnten. Auch mit Kind auf dem vorderen Sitz lässt es sich gut fahren, wobei der Sohn ja immer besser mittreten kann, je älter er wird. In zwei Jahren spätestens kann auch die Tochter aktiv mitfahren.

Das Packster hingegen ist weniger als Reiserad geeignet. Ehrlich gesagt fällt mir nur der Kofferraum als Pluspunkt ein. Dort können die tagsüber wichtigen Dinge wie Portemonnaie, Kamera, Essen greifbar verstaut werden, und auch Einkäufe passen hinein.

Für Distanzen über 40 – 50 km bräuchte man einen Zweitakku, um nicht auf eine Auflademöglichkeit zwischendurch angewiesen zu sein. Was wirklich nervte, war die nicht vorhandene Wendigkeit. Im Alltagsgebrauch und auf bekannten Strecken macht es sich nicht sehr bemerkbar, aber wenn es drauf ankommt, ist das Lastenrad ein Schiff. Auch am Berg fehlen ab einer gewissen Steigung die niedrigen Gänge, um als Fahrer ordentlich reintreten zu können.

Mit nur einem Kind im Laderaum mussten wir das Gepäck sinnvoll nach Gewicht verteilen, damit ich nicht den ganzen Tag schief fahren musste. Das wurde mit jedem Tag komplizierter, weil wir wohl besser im Packen wurden und so tatsächlich drei Taschen nicht mehr voll bekamen. Das Problem lässt sich sicherlich durch Erfahrung lösen.

Das größte Manko besteht im Transport zum Start. Dass alles so reibungslos mit den Zügen lief würde ich als Glück bezeichnen, für weitere Strecken oder mit Umsteigen würde es noch komplizierter. Für größere Touren mit Kindern wäre ein zweites Pino ein Traum, zum Konditionsausgleich gibt es die auch mit Motor. Vielleicht ein Plan für die Zukunft, wenn wir kein großes Lastenrad mehr brauchen.

Zwar gab es jeden Morgen Streit, ob der Sohn oder die Tochter als erstes auf dem Pino fahren durften, trotzdem war wohl das Lastenrad keine schlechte Alternative für die beiden. Der Sohn konnte fotografieren, die Tochter fror dort nicht wie auf dem Pino, wo sie bewegungslos im Wind saß. Nur zum Schlafen eignete sich das Lastenrad weniger, die Sitzposition ist sehr gerade. Für 20 Minuten am Tag kauerte die Tochter vornüber gesackt und machte ihren verspäteten Mittagsschlaf, da halfen auch keine Stützen aus Rucksäcken und Nackenhörnchen. Auf dem Pino sitzt man generell geneigter, dort konnte sie auch halbwegs bequem schlafen.

Dafür sind die Gurte da.
Gemütlich kann das nicht gewesen sein.

Zu guter Letzt sei gesagt: als der Mann und ich den Beschluss fassten vorzeitig nach Hause zu fahren, kam lauter Protest von beiden Kindern, die lieber noch eine ganze Weile weiter fahren wollten.

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